
Wie ich zu meinem Namen Nadananda fand.
Mein Ausgangspunkt war die Beschäftigung mit meditativer Malerei. Ich befasste mich mit Bildstrukturen die nicht nur natürlich erscheinen sollten, sondern selbst einen natürlichen Prozess bezeugen mussten. Es widerstrebte mir, dass Kollegen Landschaftsmalereien in Zusammenhang mit Meditation stellten. Meditation als Aufzeichnung eines fluktuierenden Bewusstseinsprozesses schien mir der Wirklichkeit näher zu sein weshalb ich beschloss, meine Informationen zu diesem Thema nicht mehr unter Malern, sondern in der Yoga-Praxis zu suchen. Die vielfältigen, über kulturelle Grenzen hinaus ragenden Bedeutungen und Zusammenhänge des Yoga erschlossen sich für mich nur ganz allmählich. Trotzdem wurde Yoga für meinen weiteren künstlerischen Weg immer wichtiger.
Nach einem undankbaren Engagement in der Kulturpolitik zog ich mich aus der Stadt zurück. Die Ausgeglichenheit und Ruhe meiner Arbeit als bildender Künstler und das Leben auf dem Land waren fruchtbarer Boden für die Fortführung meiner zunehmend intensiveren Yoga-Studien. Eines Tages im Winter freute ich mich über die Stille und den friedlichen Ausblick in den Tannenwald als mir ein Hintergrundgeräusch auffiel. Bei genauerem Lauschen fand ich die Ursache in den Heizkörpern. Die elektrische Pumpe, die zur Heißwasserverteilung im Heizungsraum surrte, transportierte mit dem Wasser auch das Zischen in alle Räume. Mit seiner ständigen Präsenz tauchte dieses seltsame Geräusch aber in die Vergessenheit ab. Mit dem Selbstverständnis der Gewöhnung überging ich damals jede weitere Auseinandersetzung damit.
Als mir dann im Sommer nach Ende der Heizperiode das seltsame Surren und Pfeifen wieder einmal auffiel, erinnerte ich mich an dieses kleine Ereignis im Winter. Es war nun aber warm und meine Erkundigung beim Hauseigentümer ergab, dass alle Heizungspumpen ausgeschaltet seien und sie nicht die Ursache für die fiependen Geräusche sein konnten. Das war seltsam und etwas beunruhigend. War mein Gehör geschädigt? Nach einiger Zeit suchte ich einen Hals-Nasen-Ohren-Arzt auf, um das zu klären. Die damaligen Gehöruntersuchungen sowie Messungen ergaben ein intaktes und dem Durchschnitt entsprechendes Hörvermögen.
Ich musste mich scheinbar damit abfinden, dass dieses Pfeifen ganz ohne eine äußere Ursache in meinem Kopf existierte. Eigene Töne, die mein Gehirn selbst verursachte. Der Begriff Tinnitus war mir zu der Zeit unbekannt, aber ich erinnerte mich irgendwann an einen sehr alten Quelltext über Hatha-Yoga. Ich begann dieses Buch zu suchen und fand es schließlich. In einem Abschnitt der “Hatha-Yoga-Pradipika”, der der Erleuchtung (Samadhi) gewidmet war, las ich folgenden Text: “In der letzten Phase ähneln die Töne solchen von Klingeln, Flöten, Viena, Bienen usw. Diese verschiedenen Töne werden so gehört, als seien sie im Körper erzeugt.“ Nachdem ich diesen Text mehrfach las, festigte sich in mir allmählich eine Vermutung. In meiner mehrere Jahre andauernden Yoga-Praxis hatte ich unwissend Übungen integriert, die in der beschriebenen Hörbarkeit des inneren Klanges mündeten. Etwas aufgewühlt forschte ich weiter in indischen Schriften und fand vergleichbare Texte in dem gleichfalls sehr alten Buch “Geranda Samhita”.
Ich hatte eine naturwissenschaftliche Ausbildung, deshalb las ich derartige Textpassagen mit skeptischem Abstand. Trotzdem hatte ich mit der Yoga-Praxis einen sehr positiven Erfahrungsschatz erlangt, der mir Einiges verständlich machte. Die Yogis haben vor dem Hintergrund der Selbsterfahrung eine brauchbare Wissenschaft zum Umgang mit der Lebensenergie hinterlassen. Die darauf basierende, in eigener Praxis gründende Glaubwürdigkeit bewog mich den Klang meiner aufklärerischen Skepsis zum Trotz für meine Meditationen zu nutzen.
Das traditionell vom Lehrer an den Schüler weiter gegebene Mantra wurde für mich fortan durch Nada, den inneren Klang ersetzt und bewährte sich in der Eigenschaft den Geist zu beruhigen. Im Verlauf meines privaten Studiums verschiedenster Yoga-Ansätze blieb mir nicht verborgen, dass die Inder mit Nada den Klang des entstehenden Universums meinten. Der Begriff Nada beruht also auf der Annahme, dass sich das gesamte Universum von einer Schwingung ausgehend Materialisierte. Ähnlich, wie ein Lichtstrahl durch ein Prisma fallend sein gesamtes Farbspektrum offenbart, teilt sich nach Meinung der Inder Nada stufenweise in verschiedene Unterschwingungen. Vom Non-Dualen zum Dualen, vom Feinstofflichen zum Grobstofflichen deuteten sie die folgende Vielfalt der Phänomene und ordneten sie in ihrem ganzheitlichen Weltentwurf der Chakren. Von der Dualität gebärenden, ursächlichen Schwingung, die sie „AUM“ nannten, ausgehend ordneten sie die antiken Elemente in Chakren bzw. Energiewirbeln an. 50 weiteren Unterschwingungen wie Lautformen, die heute als Sanskrit-Alphabet überliefert sind, wurden den Elementen zugeordnet. Den fünf Elementen wurden jedoch eigene Lautformen zugeordnet, die über ihrem Schriftsymbol jeweils einen Punkt (Akshara) tragend die unvergängliche Einheit mit dem Ursprung andeuten. Jene Einheit die in der Advaita Philosophie zum Tragen kommt und in den Mantras erklingen sollen.

Diese stehenden Wellen sind Schwingungszustände zusammenhängender Systeme. Als Musterbeispiel wird dafür gerne die schwingende Saite eines Musikinstruments gewählt.
Diese Einsichten eröffneten mir einen lebendigen Einblick in den unglaublichen Reichtum eines ganzheitlichen Weltentwurfes indischer Kulturgeschichte, die mir später sogar folgende Brücke zum westlichen Denken ermöglichte. In meinem Denken begegneten Naturwissenschaften altindischen aber auch hebräischen Schöpfungsvorstellungen. In der Bibel las ich: „Im Anfang war das Wort und Gott war das Wort“. Ein Wort ist als reine Lautform nur eine physikalisch messbare Schwingung! Es gibt hier offenbar eine fundamentale Ähnlichkeit zwischen der hinduistischen und Christlichen Schöpfungsvorstellung. Dem gegenüber deuten Naturwissenschaften Schwingung, Energie und Materie als verschiedene Seiten des gleichen Seins. Auch die Quantenphysik weist darauf hin, dass Materie mit allen Strukturen sozusagen auf einer tieferen Schicht basiert, in welcher alles auf Schwingungen basiert und, dass diese Schwingungen kohärent (verbunden) sind (In Alber und M. Freyberger: Quantenkorrelationen und die Bellsche Ungleichung). Dieser Punkt der Quatenmechanik ist nicht mit dem klassischen Lokalitätsprinzip der Physik vereinbar. In experimentellen Systemen treten tatsächlich nichtlokale Korrelationen zwischen Teilsystemen auf, die im Rahmen der klassischen Physik nicht beschrieben werden können. Was bedeutet dass zwei verschränkte Teilchen (Zwillingsteilchen) stets eine Einheit bleiben. Egal wie weit sie von einander entfernt wären, wenn wir das eine kitzeln könnten würde das andere zeitgleich lachen.
Max Plank sagte: Materie an sich gibt es nicht. Es gib nur den belebend, unsichtbaren, unsterblichen Geist als Urgrund der Materie, den ich nicht scheue Gott zu nennen. So betrachtet kann die Schöpfung einer immateriellen Realität entsprungen sein. Schwingung und Energie materialisieren sich in einer Weise die Quantenkorrelationen aufzeigt. Das lässt den Rückschluss auf ein nicht teilbares System zu. Der Beweis dafür das unser Universum eine unteilbare Einheit ist, wird genauso schwerfallen wie das Gegenteil. Einem System wie es der indischen Advaita Philosophie eigen existiert demnach immer noch mit der gleichen Berechtigung wie die Physik. So stehen sehr verschiedene Weltanschauungen grundsätzlich, nicht mehr im Konflikt zu einander und manche Arroganz des einen oder anderen Vertreters sollte zugunsten fruchtbarer Begegnungen schwinden.
Das nährt die Hoffnung, dass vor dem geheimen Wort das ganze verkehrte Wesen fortfliegt. Vielleicht wurde deshalb das Mantra „AUM“ als Laut des ewig schwingenden Echos der Eruption des beginnenden Universums erfunden. Es entstand eine Möglichkeit, sich dieser Klangerfahrung in spiritueller Absicht zu nähern. Die so gegebene Möglichkeit der Rezitation half allen, die Nada nicht aus eigener Erfahrung kannten.
Heute – 2020 – viele Jahre später:
Nach dem ermüdenden Bad in Gedanken und Alltagswahrnehmungen wirkt Nada, in der Phase des Dharana (Sammlung), wie ein immer fließender Wegweiser zur Insel des Dhyana (tiefe Meditation). Nada durchdringt die Masse fluktuierender Bewusstseinsmomente wie Licht die Dunkelheit. Die ununterbrochene Wahrnehmbarkeit des Klangs ist ein Energiefeld, das die Bewusstseinshaltung stabilisiert. Meine friedlichsten Erfahrungen des Yoga Zustandes verdanke ich immer wieder der Meditation in der Schönheit und Einheit mit diesen inneren Klängen.
Der wesentliche Unterschied zum Mantra Japa (Wiederholung) ist, dass Nada nicht erzeugt werden muss. Nada klingt von ganz alleine vom Ajna Chakra (mitten im Kopf) ins Sahasrara (Scheitelpunkt). Das Problem im Dharana scheint darin zu bestehen, dass Mantras wie Worte sind. Vielleicht können wir verstehen lernen, dass Mantras aus Nada hervorgehen und wir versuchen sollten diesen Klang anzunehmen anstatt Buchstaben aneinanderzureihen.
Das Wort Nada braucht nicht auf etwas zu deuten, was es selbst nicht ist. Es ist selbst Klang und Energie in vielfältigen Schwingungen wie Prana und Licht.
Namaste Nadananda